(von Manfred Thielmann, Breitscheid)
Eine Kirche aus dem Mittelalter mit achtseitigem spitzen Turmhelm auf dem Chorturm und rechteckigem Schiff
1. Geschichte der Entstehung
1309
Die Filialgemeinde Breitscheid der Mutterkirche Herborn erhält durch einen Vertrag das Recht, für ihre neu gebaute Kapelle einen Kaplan anzustellen. Das Kirchspiel Herborn, und damit auch Breitscheid, gehörte in jener Zeit zum Erzbistum Trier und wurde vom Deutschen Orden, Deutschhaus Marburg, verwaltet. Erst im Jahr 1578 kam die Herborner Mutterkirche an den Grafen von Nassau-Dillenburg. Die Einführung der Reformation in der Dillenburger Grafschaft erfolgte um 1530 durch Graf Wilhelm von Nassau-Dillenburg.
1349
Kaplan ist ein Breitscheider: Conret Hermans soen von Breitscheit, Konrad Sohn des Hermann aus Breitscheid, schließt einen Vertrag mit Breitscheider Bauern über gegenseitige Rechte und Pflichten. Danach ist er verpflichtet, am Bau des Kirchturms mitzuhelfen und darf das Porthaus zu seinen Nutzen innehaben, muss es aber im Kriegsfalle für die Aufnahme der Bewohner räumen. In diesem Vertrag wird erstmals erwähnt, dass die Kapelle dem heiligen Antonius geweiht ist.
vor 1349
Errichtung des frühgotischen Chorturms.
1629
Umbau/Neuerrichtung des Kirchenschiffes.
1727
Erneuter Umbau des Kirchenschiffes.
2. Bauwerk
Gesamtkirche: Die einstige Kirche war im Inneren eine zweischiffige Anlage mit je drei Jochen und hatte im Osten durch einen Spitzbogen Verbindung mit dem quadratischen Chor. Die Wände von Schiff und Chor waren von schmalen Fenstern durchbrochen, wie sie im Chor bis heute erhalten blieben. Die zwei Türen zum Schiff befanden sich auf der Südseite. Nicht nur der Chor, sondern auch die Wände des Schiffes trugen Freskenmalerei. Neben dem Hochaltar im Chor stand seitlich des Triumpfbogens je ein weiterer Altar. Das gesamte Bauwerk war mit einem Kellenputz versehen. Die Chorfenster waren wahrscheinlich von englisch-roten Streifen gefasst.
Kirchenschiff: Ursprünglich eine zweigeteilte gewölbte Halle, die wohl im 17. Jahrhundert zugunsten eines einteiligen Kirchenschiffes verändert wurde. Spuren der Gurtbögen sind heute noch oberhalb des Triumpfbogens am Turm zu erkennen. Das genaue Aussehen des inneren Kirchenschiffes vor der Neuerrichtung in 1629 und dem Umbau in 1727 ist unbekannt. Die letzte grundlegende Renovierung der Kirche erfolgte im Jahr 1950, bevor in den Jahren 1969 und 1970 wegen Baufälligkeit das Kirchenschiff abgerissen und in der jetzigen Form neu erbaut wurde.
Die Neueinweihung der Pfarrkirche wurde im Advent 1970 vorgenommen.
Turm: Der Chorturm ist aus Basaltfindlingen gebaut, die in der Umgebung gewonnen wurden. Sein genaues Alter ist nicht bekannt, die Entstehung liegt aber nachgewiesener Maßen vor dem Jahre 1349. Der Turm diente von jeher der Bevölkerung in Kriegszeiten als Rückzugsort und damit als Wehrturm. Bei verschiedenen Baumaßnahmen wurde das Innere des Turms immer wieder verändert: Der Boden im Chorraum wurde mehrmals angehoben, um die Fundamente zu stützen und die drei vorhandene Nischen in der ca. 1,5 m dicken Mauer wurden erst bei Umbauarbeiten im Jahr 1969 freigelegt.
Triumpfbogen ist als Rundbogen mit einer Scheitelhöhe von 4,60 m über dem ältesten Fußboden in seiner jetzigen Form wohl erst in jüngerer Zeit entstanden. Ein Hinweis dafür ist u.a. die Aufmalung von Quadern, die sich im Halbrund der auf dem Kirchenschiff zugewandten Seite erkennen lassen.
Bei der letzten Baumaßnahme in den Jahren 1969 und 1970 war die Untersuchung der Chorwände nach übertünchten Wandmalereien erfolgreich. Die Nordwand des Altarhauses wartet beiderseits des kleinen Fensters mit je einer Figur auf: links ein Reiter zu Pferd, rechts Petrus mit Buch und Schlüssel. Unter dem Fenster befindet sich zwischen kleinen Engeln ein von einem Heiligenschein umgebenes Antlitz. Auf der gegenüber liegenden Wand erfährt links des Fensters Paulus seine Darstellung, mit Buch und Schwert ausgerüstet, während rechts der Fensteröffnung sich die Überreste einer Figur nicht näher bestimmen lassen. Auf diese Gestalt zu bewegen sich unter dem Fenster ein aufrechtgehender Mensch, ein Krüppel, der sich auf einen kleinen Schemel stützt, ein Mann mit einer Krücke und ein Reiter. Die Deutung dieser Szene steht noch aus. Auf der Ostwand wurde die rechte Figur als Engel identifiziert, die linke Figur bedarf noch einer Klärung, vermutlich handelt es sich hierbei ebenfalls um einen Engel. Auch auf den rückwärtigen Nischenwänden, deren unterer Teil aus aufgemalten gerafften Wandbehängen besteht, waren ursprünglich ebenfalls Fresken aufgemalt. In der Ost-Nische lässt sich eine Figur mit Heiligenschein ausmachen, die den Raum über den Draperien ziert.
Die gesamte Bemalung dürfte nach ihren Formen im 14. Jahrhundert entstanden sein und stammen somit aus der vorreformatorischen Zeit.
3. Orgel
Die schöne Orgel besteht aus einem dreiteiligen Prospekt mit musizierenden Engeln auf den Außenkanten und aufgelegten geschnitzten Fruchtgehängen auf dem senkrechten Holzwerk. Schleier krönen den Orgelprospekt und zieren die Pfeifen. Ob die auf dem Holzwerk gefundene Inschrift Johannes Tröst 1757 den Erbauer und das Herstellungsjahr bezeichnen, ist ungewiss, denn schriftliche Unterlagen besagen, dass die Orgel im Jahr 1788 von einem Orgelbauer in Griedel bei Butzbach erstellt wurde. Möglicherweise ist seinerzeit durch ihn das Werk für den vorhandenen Prospekt geliefert worden. Der Mitarbeiter des Landeskonservators von Hessen, Dr. Oswald, gibt 1970 das Orgel- Entstehungsjahr mit 1755 an.
4. Kanzel
Die sechsseitige Kanzel ist auf einer gedrehten Säule aufgesetzt und zeigt auf jeder ihrer Seite zwei übereinander liegende Füllungen mit Bemalungen von verschiedener Größe. Das Alter der Kanzel und deren Hersteller sind nicht bekannt.
5. Altar
Der Altar in der jetzigen Form, eine Konstruktion aus Metall und Holz, wurde anlässlich der Kircheneinweihung im Jahr 1970 aufgestellt.
7. Taufstein, Kerzenständer und Lesepult (Ampo)
Der Taufstein ist das Meisterstück des Breitscheider Steinmetzmeisters Christof Henn aus dem Jahr 1991. Der Kerzenständer wurde von dessen Vater Hans Henn auch im Jahr 1991 geschaffen, ebenso das Lesepult im Jahr 1998.
8. Glocken
Das Geläut der Kirche besteht aus vier Glocken unterschiedlichen Alters in der Tonlage b-c-d-f. Zwei mittelalterliche Glocken sind erhalten geblieben. Die älteste Glocke, 1450 von Johann Brauweiler gegossen, hat eine Höhe von 92 cm, einen Durchmesser von 86 cm und ist „b“-gestimmt. Die Übersetzung der lateinischen Umschrift unter der Glockenkrone lautet: „Jesus Maria heiß ich, die Gewitter breche ich, die Toten beweine ich, die Gotteslästerer rufe ich. Im Jahr des Herrn 1450.“ Diese Glocke war im 2. Weltkrieg zur Einschmelzung eingezogen worden, um aus dem Metall Munition für den Krieg herzustellen. Sie überstand den Krieg unversehrt und kehrte 1949 wieder in den Breitscheider Kirchturm zurück. Eine zweite, ebenfalls eingezogene Glocke, gegossen 1934, wurde jedoch eingeschmolzen und ging damit der Breitscheider Kirche verloren.
Die zweite jetzt noch vorhandene alte Glocke ist weniger schmuckvoll und stammt aus dem Jahr 1519. Der Glockengießer und Herstellungsort ist nicht bekannt. Die lateinische Umschrift heißt übersetzt: „ Gegossen zu Ehren der heiligen Evangelisten 1519“. Sie ist „d“-gestimmt.
Im Jahre 1958 lieferte die Glockengießerei Rincker in Sinn (Dillkreis) zwei weitere Glocken: Eine 279 kg schwere Bronzeglocke, “c“-gestimmt, mit der Inschrift „Wer aus der Wahrheit ist, höret meine Stimme“ (Kosten: DM 1583) und eine zweite 146 kg schwere „f“-gestimmte Bronzeglocke mit der Inschrift „Preiset mit mir den Herrn“ (Kosten: DM 1160).
Die beiden jüngsten Glocken waren Ersatz für die im 2. Weltkrieg verloren gegangenen Glocken und dienten der Vervollständigung des Geläutes.
9. Kirchhof
Vor dem Bau der Breitscheider Kapelle im Jahr 1309 mussten die Toten aus Breitscheid nach Herborn gebracht und auf dem dortigen Kirchhof beigesetzt werden. Nach Fertigstellung der Kapelle erhielten die Bewohner Breitscheids die Möglichkeit, ihre Angehörigen auf dem hiesigen Kirchhof zu beerdigen. Bis zum Jahr 1749 wurden die Toten auf dem Kirchhof in Familiengräbern beigesetzt; von da an gab es nur noch Beerdigungen in Reihengräbern. Ab 1900 wurden durch die starke Zunahme der Bevölkerung die Liegezeiten auf dem Kirchhof zu kurz. Deswegen legte die Gemeinde Breitscheid im Jahr 1905 westlich der Kirche einen neuen Friedhof an und damit endete der Kirchhof um die Kirche nach fast 600 Jahren als Begräbnisstätte für die Breitscheider Bewohner. Auf dem alten Kirchhof standen noch einige Jahrzehnte lang verschiedene Grabsteine, die dann vor vielen Jahren abgeräumt wurden.
Die erste 1309 urkundlich erwähnte Kaplanswohnung, das Pforthaus, vermutlich ein aus Stein hergestelltes Haus, das einer Belagerung standhalten konnte, stand wohl auf dem östlichen Kirchhof (an der Pforte). Darin wohnte nicht nur der Kaplan, sondern die Bevölkerung suchte in Kriegszeiten auch Schutz in diesem Haus. Wie lange das Pforthaus existierte, ist unbekannt und die letzten Spuren sind für immer verloren gegangen. Überhaupt hatte der Kirchhof eine besondere Bedeutung für die Sicherheit der Dorfbevölkerung. Wenn die Bewohner bei Plünderungen und Kampfhandlungen vor dem Kriegsvolk flüchteten, fanden sie hinter den dicken Mauern der Kirchhof-Umrandung auf geweihtem Boden einen ersten Schutz. In Friedenszeiten genoss zudem jeder Verfolgte das Recht, auf dem Kirchhof – der Freiheit – sich in Sicherheit zu bringen, wo er zunächst nicht aufgegriffen werden durfte.
Die heute noch vorhandenen Sandsteinpfeiler am östlichen Eingang des Kirchhofs stammen aus der Zeit um 1840, als die Gemeinde Breitscheid ein Stück Mauer am Totenhof, welche ganz verfallen ist, wieder herstellen lies.
Der Kirchhof diente auch als landwirtschaftliche Nutzfläche. Es standen um 1586 dort mal 13 Scheunen, die verschiedenen Breitscheider Bauern gehörten und für deren Nutzung sie Abgaben zahlen mussten. 1603 werden die Scheunen im Einnahmeverzeichnis der Pfarrei nicht mehr erwähnt, dafür aber Angaben über die Grasnutzung. Allerdings sind auf dem Kirchhof stehende Scheunen noch im Jahr 1641 im Verzeichnis der nutzbaren Grundstücke erwähnt. Bis 1671 hatte der Schulmeister in Breitscheid als Vergütung für den Glöcknerdienst Anspruch auf die Grasnutzung des halben Kirchhofes, 1832 beschloss der Kirchenvorstand, dass der ganze Kirchhof dem Glöckner in Zukunft belassen werden solle. Nach Fällungen der 1923 gepflanzten Fichten im Jahr 2001 und anschließender Pflanzung von einzelnen Solitär-Bäumen auf dem Kirchhof dient dieser heute als Grünfläche innerhalb der 2002 restaurierten Kirchenmauer ausschließlich noch als Zierrasen für das Auge.
Quellen:
- Evangelische Kirche und Pfarrei Breitscheid/Dillkreis, Festschrift zur Neueinweihung der Pfarrkirche, Advent 1970
- Bilder aus der Geschichte Breitscheids, Reinhold Kuhlmann
- Div. Heimatblätter und Heimatjahrbücher
- Chronik der Gemeinde Breitscheid, Jahrgang 1949
- Mündliche Überlieferungen Breitscheider Bürger
- Unterlagen der Firma Rincker, Glockengießerei, Sinn